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Wir passieren das Ortsschild, Viscri, und verlangsamen, denn die asphaltierte Straße endet abrupt und geht in holpriges Kopfsteinpflaster über. Auf den ersten Blick wirkt Deutsch-Weißkirch, wie das Ende des 12. Jahrhunderts von den Siebenbürger Sachsen gegründete Örtchen auf Deutsch heißt, wie ein typisches rumänisches Dorf, idyllisch und mit dem Charme des Heruntergekommenen, etwas ruhiger und verlassener vielleicht an diesem Nachmittag. Manches Dach ist löchrig, daneben wieder ein schön hergerichteter Hof in neuem Anstrich, auf den unbefestigten Seitenstraßen rennen Hühner frei umher, Leute sitzen sich unterhaltend auf Holzbänken vor ihren Häusern und auf dem Schornstein der Grundschule hat ein Storchenpaar ein gewaltiges Nest gebaut. Und vom nordwestlichen Ortsrand schaut die Kirchenburg stoisch über die Baumwipfel auf all das Treiben. Und doch ist etwas anders.

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Früher zählte Viscri über 700 Einwohner, die meisten von ihnen Siebenbürger Sachsen. Aber seit der letzten großen Ausreisewelle der Deutschen in den 1980er Jahren leben heute nur noch etwas über 400 Menschen hier. Die Struktur des Dorfes ist aber noch stark geprägt von den sächsischen Höfen mit ihren großen Toren und den markanten Krüppelwalmdächern. Vor den farbenfrohen Häusern stehen schattenspendende Bäume, an den Fassaden rankt sich wilder Wein und dahinter türmt sich ein dramatischer Wolkenhimmel auf. Ein Roma führt seine Pferde an den Brunnen in der Straße. Das Fohlen springt noch etwas tapsig umher, es ist erst drei Wochen alt, wie er uns erzählt.

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Und dann trauen wir unseren Augen nicht. An einer dunklen Holzwand hängt malerisch ein Plakat mit der Aufschrift: România lui Lee Miller, darunter ein Schwarzweißfoto.

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Erst im vergangenen Herbst waren wir durch Zufall in Saint-Malo in eine Ausstellung der Fotografin gestolpert. Waren es in der Bretagne ihre Bilder aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, sollen es hier, in diesem kleinen Ort, Fotos der Rumänien-Reisen von Lee Miller sein. Noch etwas ungläubig schauen wir auf die Adresse: Casa Regelui Charles III.. Und dann dämmert es uns, wieso dieser beschauliche Ort wohl von Zeit zu Zeit von Besuchern regelrecht überrannt wird. König Charles III. hat sich hier 2006 ein Haus gekauft. Wir wussten, dass der britische König ein Faible für Rumänien hat und sich sein Stammbaum bis zu Vlad II., dem Vater des berühmt-berüchtigten Vlad Țepeș, der einst Bram Stoker als Vorlage für Dracula diente, zurückverfolgen lässt. Aber wir hatten nicht mehr daran gedacht, dass es Viscri ist, wo sich Charles Eigentum zugelegt hatte. Wir zählen beide nicht zu den eingefleischten Royal-Fans, die sich mit allen Entwicklungen des britischen Königshauses befassen, und bekommen nur das darüber mit, was sich nicht vermeiden lässt, wenn man regelmäßig Nachrichten liest. Und wir müssen zugeben, dass wir dem Haus König Charles III. in Viscri vermutlich keinen Besuch abgestattet hätten, aber die Lee Miller-Ausstellung verändert das natürlich.

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Wir sind gespannt, was uns erwartet, und befürchten Schlimmes. Neben all den schönen alten Bauernhäusern sehen wir vor unserem geistigen Auge ein Haus mit allen Annehmlichkeiten und Luxus, umgebaut, um einem früheren Prinzen und jetzigen König zu gefallen. Aber allzu viel Zeit haben wir gar nicht, uns unseren Vorstellungen hinzugeben, denn schon nach kurzer Zeit stehen wir vor einer dieser bunten Hausfassaden, ebenso schlicht und schön, wie die restlichen Gebäude der unbefestigten Dorfstraße, lediglich der Besitzer soll hier adlig sein. Etwas ungläubig treten wir durch das Tor und stehen kurz darauf in einem kleinen Laden. Schnell kommen wir ins Gespräch mit den beiden Damen, die hier die Eintrittskarten verkaufen. König Charles III. kommt regelmäßig zu Besuch, Rumänien war nach seiner Krönung das erste Land, das er als König bereist hatte. Und er liebt die Einfachheit, wie uns die beiden berichten. Er bezieht die Dorfbewohner mit ein, versucht, die alte Dorfstruktur zu bewahren und hat auf dem Grundstück einen Garten, der von Kindern des Ortes betreut und bepflanzt wird, um ihnen die Schönheit der Natur nahezubringen.

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„Für manche im Dorf ist es Fluch und Segen zugleich. Es ist schön, dass Viscri Aufmerksamkeit bekommt, die Besucherzahlen haben sich in den letzten Jahren fast verzehnfacht“, sagen uns die Damen. Aber für manche Bewohner war es wohl zu viel, das Dorf war nicht auf den schnellen Anstieg der Touristen vorbereitet. Viele Engländer kommen, um zu sehen, wo sich ihr König gerne aufhält. Die Zunahme an Verkehr bedeutet für manche, dass sie ihre Hühner nicht mehr frei im Dorf herumlaufen lassen können. Es ist wie so oft, wenn man auf ein Fleckchen Erde aufmerksam macht, das einem gefällt. Es werden Besucher angelockt und mit dem Andrang verändert sich dieser liebgewonnene Ort und ist am Ende nicht mehr der, an dem man sich einst wohlgefühlt hat. So weit ist es glücklicherweise noch lange nicht in Viscri und wir hoffen, dass es auch so bleibt. Denn am Ende wäre es auch nicht das, was König Charles III. sich vorgestellt hat.

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Im Innenhof steht ein Schneeball-Busch in voller Blüte, und macht seinem Namen alle Ehre, daneben ein kleiner überdachter Brunnen. Ein paar Informationstafeln erklären die Hintergründe für die Begeisterung des britischen Königs für Rumänien und machen auf Projekte aufmerksam, die von der königlichen Stiftung unterstützt werden. In einem der Gebäude liegt inmitten des Raumes in einer Glasvitrine ein mächtiges Buch. Die aufgeschlagene Seite zeigt das Aquarell einer Wildblume. Für die Illustrationen des „The Transylvania Florilegium“ hatte die König Charles III. führende Künstler nach Siebenbürgen eingeladen, die in einem fünf Jahre umfassenden Zeitraum die Wildblumen der Region in detaillierten Bildern festhielten. Insgesamt befinden sich 124 dieser Zeichnungen, jede auf Baumwollpapier gedruckt und mit zusätzlichen Informationen und wissenschaftlichen Details versehen, in dem Buch, das in der Länge beinahe einen halben Meter misst. Das „Florilegium“ erscheint in zwei Bänden, handgebunden in Ledern und mit Goldprägung. So viel Buch hat natürlich auch seinen Preis. Die Auflage ist auf 150 nummerierte Exemplare limitiert, jedes einzelne von König Charles III. signiert, und kann für knapp 15 500 € im heimischen Bücherregal stehen. Immerhin kommt der Erlös wohltätigen Zwecken zu Gute.

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So faszinierend die Ausstattung des Buches und die Liebe zum Detail auch sind, wenden wir uns doch den Bildern Lee Millers zu, die ein Rumänien zeigen, das es heute nicht mehr gibt. Beeindruckend und erschreckend zugleich, zeigen sie doch sehr eindrücklich, wie schnell sich Dinge verändern und verloren gehen können. Eindrückliche Schwarzweißfotos, auf denen Roma mit Tanzbären zu sehen sind, Kinder in der Walachei, die Regentänze aufführen und ungestellte und persönliche Bilder der damaligen Königsfamilie Rumäniens. Womit sich der Kreis zum Herren des Hauses schließt.

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In einem angrenzenden Häuschen befinden sich zwei Zimmer, die ihre heimelige Atmosphäre aus der Schlichtheit schöpfen. Ein verzierter Kanonenofen kann während kalter Tage für eine angenehme Wärme sorgen, bequeme Sessel, Holztisch und Hochbett vervollständigen die Einrichtung.

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Wir sind begeistert, dass hier kaum etwas verändert wurde, sondern die Besonderheiten bewahrt und geschätzt werden. Die Seite, die wir hier von König Charles III. kennenlernen, fasziniert und beeindruckt uns viel mehr, als jegliche Klatschgeschichte aus irgendeinem Palast dieser Welt es jemals könnte.

Wir versuchen mit unseren Vorträgen und Büchern über Rumänien, Vorurteile und Klischees über dieses unterschätzte Land abzubauen und auf seine Schönheiten und Besonderheiten aufmerksam zu machen. Und gleichzeitig haben wir heute gemerkt, dass unsere eigenen Vorbehalte gegenüber der Monarchie uns beinahe davon abgebracht hätten, dieses schöne Haus zu besuchen. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass es sich immer lohnt, sich ein eigenes Bild vor Ort zu machen. Und wenn wir wieder einmal von König Charles III. lesen, dann werden zukünftig in ihm mehr als nur einen König sehen.

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