In diesem Jahr gedenkt Finnland einem seiner bemerkenswertesten Künstler zu dessen 100. Geburtstag. Allen Widrigkeiten zum Trotz schaffte es Reidar Särestöniemi in die bedeutenden Kunstgalerien und auf die Saunabank mit dem finnischen Präsidenten.

Über 100 Kilometer nördlich des Polarkreises zweigt eine schmale Piste von der Landstraße ab, und schlängelt sich für mehrere Kilometer durch teils dichten Wald und menschenleere Tundra, jenen typischen Landschaften des hohen Nordens. Die einzigen Begleiter sind hier Rentiere und kaum jemand würde am Ende dieser Straße das Anwesen eines der meistgeschätzten Künstler des Landes erwarten. Zu Lebzeiten von Reidar Särestöniemi gab es selbst diesen staubigen Weg noch nicht. Vom nahegelegenen Dorf Kaukonen musste er zunächst ein gutes Stück zu Fuß gehen und schließlich noch zwei Kilometer mit dem Boot auf dem Ounasjoki zurücklegen, an dessen Ufer sein Heimatbauernhof Särestö liegt.


Reidar wurde 1925 als siebtes und jüngstes Kind einer Bauernfamilie geboren. Und allein die Gebäude des Hofes, seltene Beispiele traditioneller Bauernhäuser aus dem 19. Jahrhundert, lohnen den Besuch. Dass der Hof Ende des Zweiten Weltkriegs nicht der verbrannten Erde zum Opfer fiel, jener Taktik der sich zurückziehenden deutschen Truppen, die beispielsweise Rovaniemi vollständig zerstörte, verdankt er seiner abgeschiedenen Lage. Und genau diese Idylle inspirierte Reidar zeitlebens und veranlasste ihn, nach seinem Kunststudium in Helsinki und Leningrad wieder an den Ort seiner Kindheit zurückzukehren und hier den Großteil seines Lebens und künstlerischen Schaffens zu verbringen.

Das erst nach seinem Tod eröffnete Särestöniemi-Museum gewährt Besuchern tiefe und intime Einblicke in das Leben dieses bedeutenden finnischen Malers. Herzstück des Anwesens ist das Galerie-Gebäude, das von dem Architektenpaar Reima und Raili Pietilä entworfen und 1972 aus riesigen Baumstämmen abgestorbener und jahrzehntelang auf natürliche Weise getrockneter Kiefern (finnisch Kelohonka) erbaut wurde. Früher diente das beeindruckende Holzhaus als Repräsentationsraum und durch große Öffnungen im Dach fällt natürliches Licht auf die ausgestellten Bilder. Neben Kunstliebhabern gaben sich auch einflussreiche Persönlichkeiten beim berühmtesten Künstler seiner Zeit die Klinke in die Hand. Die größte Überraschung wartet im ersten Stock, wo die glatte Wasseroberfläche eines Schwimmbads die bunten Gemälde in perfekten Spiegelungen einfängt. Hier schwamm Reidar unter anderem mit dem damaligen finnischen Präsidenten Urho Kekkonen und gemeinsam besuchten sie die Sauna der Galerie. Die Sammlung des Museums umfasst mehr Werke, als ausgestellt werden können, und im Dezember eines jeden Jahres wechseln die Bilder, sodass sich ein Wiederkommen lohnt.


Die Galerie konnte bei einem Brand in der Silvesternacht 1977 gerettet werden, aber das ursprüngliche Atelier und alle darin befindlichen Bilder fielen den Flammen zum Opfer. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde das neue Atelier fertiggestellt, das im Stil eines typischen Holzhauses Kareliens gestaltet wurde. Das mächtige zweigeschossige Haus thront förmlich auf einer kleiner Anhöhe. Eine ausladende Holztreppe führt ins Innere, wo schwere Balken die hohen Decken tragen und zu allen Seiten große Fenster den Blick in die Natur bieten. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass man hier inspiriert seiner Arbeit nachgehen kann. Auf Tischen stehen Gläser mit Pinseln und Pigmenten, in den Regalen Eimer mit Farben. An der mit Farbspritzern bedeckten Staffelei hängen Malkittel, die davon zeugen, dass sie intensiv genutzt wurden. Die heimelige Atmosphäre wird getragen von einem gemütlichen Schaukelstuhl, einem auf Hochglanz polierten Flügel. Und anders als in der Galerie hängen hier nicht die großformatigen farbigen Gemälde Reidars an den Wänden, sondern hauptsächlich Grafiken, Aktstudien, Radierungen. Aber auch das neue Atelier konnte Reidar nicht über den Schock hinwegtrösten, den der Verlust seiner alten Werkstätte samt seiner Bilder bei ihm ausgelöst hatte. Er starb nur drei Jahre später im Alter von 56 Jahren.


Was bleibt, ist seine farbenfrohe Interpretation der Dinge, auch wenn sein eigenes Leben nicht immer so bunt war. Mit seinen Bildern erzählte er auch von seiner Liebesbeziehung zum Dichter Yrjö Kaijärvi und bezog Stellung zur Homosexualität, die zur damaligen Zeit in Finnland als Verbrechen galt.
Im ersten Moment mögen Reidars Bilder wie Farbexplosionen auf Leinwand wirken, verwirrend und schreiend bunt. Ruht der Blick aber länger darauf, werden Dinge sichtbar, die dem Finnland-Reisenden bekannt vorkommen: Rentiere, Birken, Mitternachtssonne, klirrende Kälte, Bären und Robben. Teilweise erinnern die Darstellungen auch an die jahrtausendealten Felszeichnungen, die beispielsweise im Hossa-Nationalpark heute noch zu entdecken sind.



Die Spitznamen, die dem lappländischen Maler im Laufe der Zeit verliehen wurden, sind zahlreich: „Prinz von Kittilä“, „Finnlands Picasso“, „Alchemist der Farben“. Die Farben waren sein wichtigstes Element und zeitlebens experimentierte er mit ihrer Wirkung und entwickelte seinen unverkennbaren Stil.
In seinen Bildern stecken viele offensichtliche Schönheiten der nordischen Natur, aber auch ebenso zahlreiche symbolische Andeutungen. Bis heute haben die Werke nichts von ihrer Kraft verloren und bieten jedem Betrachter ganz eigene Interpretationsmöglichkeiten. Oder wie es Reidar selbst ausdrückte: „In meiner Malerei finden sich mein Glück, mein Schmerz, meine unerfüllte Sehnsucht, mein ganzes Leben.“

