Es war einmal ein Lehrer in einer kleinen, südfinnischen Gemeinde. Jeden Morgen vor der Arbeit las er seine Zeitung, und seine Frau servierte ihm dazu immer ein Gläschen Schnaps und ein rundes Törtchen aus süßem Brotteig mit Mandeln, gekrönt mit Zuckerguss und Himbeerkonfitüre. Dann machte er sich auf zu seinem Arbeitsplatz, über kopfsteingepflasterte Wege, vorbei an bunten, beschaulichen Holzhäuschen und gepflegten Gärten voller duftender Blumen.  

Porvoo_Detail

Der Kleinstadtlehrer hieß Johan Ludvig Runeberg und wird heute als der Nationaldichter Finnlands angesehen. Inmitten der Helsinkier Esplanadi, jener bekannten Einkaufsstraße nahe dem Hafenmarkt, hat er einen prominenten Platz gefunden und schaut von seinem Podest aus Richtung Osten. Er lieferte den Text der finnischen Nationalhymne und war schon zu Lebzeiten ein geachteter Dichter und Schriftsteller.

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Die Stadt Porvoo, in der er bis zu seinem Lebensende am Gymnasium unterrichtete, möchte auch heute noch beschaulich sein, aber die vielen Besucher machen es ihr schwer.

Porvoo

Porvoo

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Porvoo ist eine sehr alte Siedlung, und vermutlich eine der wenigen in Finnland, die heute noch mittelalterlich wirken. Im Dom der Stadt erhob Zar Alexander I. von Russland einst die Finnen zu einer Nation, wenn auch das Land vorerst nur Großfürstentum innerhalb seines Reiches, dafür aber mit weitgehender Souveränität ausgestattet, werden sollte. Wir schlendern durch die Altstadt oben auf dem Hügel, über das holprige Kopfsteinpflaster, vorbei an gepflegten Holzhäuschen und gemütlichen Cafés. Der idyllische Eindruck wird jedoch von einer Heerschar an Autos getrübt, die auf jedem freien Platz zu stehen scheinen. Am Dom, der 1418 erbaut wurde und somit tatsächlich noch aus dem Mittelalter stammt, erklärt sich dann auch die Automenge. Konfirmanden strömen aus der Kirche, dicht gefolgt von ihren herausgeputzten Familien, und überfluten den Kirchhof. Der Dom mit seinen weißen Außenwänden, dem dunklen Holzschindeldach und den Backsteinornamenten ist von schlichter Schönheit. 2006 fiel er einer Brandstiftung zum Opfer, wurde aber inzwischen wieder hergestellt.

Porvoo_Dom

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Wir gehen bergab Richtung Porvoonjoki und treffen auf immer mehr Besucher, Geschäfte und Restaurants, bis uns die Souvenirläden und Menschenmassen ans andere Ufer vertreiben. Porvoo ist ein beliebtes Ausflugsziel, nicht zuletzt wegen der geringen Entfernung zur Hauptstadt. Vom jenseitigen Flussufer bietet sich uns ein schöner Blick auf die alten, in verschiedenen Rottönen gestrichenen Speicherhäuser. Früher waren sie mit Waren für den regen Ostseehandel gefüllt.

Porvoo

Porvoo

Porvoo

Am 5. Februar, dem Geburtstag seines Nationaldichters, feiert Finnland den Runeberg-Tag. Dann gibt es die kleinen Törtchen, die seine Frau erfunden haben soll, um ihm den Morgen zu versüßen, überall in den Bäckereien des Landes. In Porvoo bekommen wir sie natürlich auch im Sommer, und es gibt auf jeden Fall schlechtere Arten, in den Tag zu starten, als mit einem Runeberg-Törtchen!  

Von Porvoo aus fahren wir nach Lappeenranta, und stoßen in der Vorstadt auf Zeugnisse der jüngeren Geschichte - die Salpa-Linie. Nach dem Winterkrieg 1940/41 versuchten die Finnen, ihre Ostgrenze so gut wie möglich gegen einen erneuten Anfgriff durch die Rote Armee zu schützen. Insbesondere grenznahe Furten über Flüsse und andere gut passierbare Stellen wurden mithilfe von Steinbarrieren, Panzergräben und anderen Anlagen auf einer Gesamtlänge von 1200 Kilometern zu schützen versucht. Die Maschinengewehrstellung hier bei Lappeenranta, neben der sich auch noch eine Mannschaftsunterkunft findet, wurde nie umkämpft und hat sich bis heute gut erhalten.

Salpa

Salpa

Salpa

Salpa

Unter der Erde sinkt die temperatur drastisch, Wasser tropft von den decken und jeder Schritt hallt dröhnend durch die duklen, kahlen Räume. Kaum vorstellbar, wie beklemmend es für Soldaten gewesen sein muss, wenn sich die schwere Außentür geschlossen hatte und sie in einem solchen Bunker unter Beschuss ausharren und jeden Moment damit rechnen mussten, dass ihr Leben vorbei sein könnte. 

Lappeenranta

Lappeenranta

Am nächsten Vormittag stehen wir vor Goldlöckchen und den drei Bären. Das kleine Mädchen an der Türschwelle, einer der Bären lässt sie herein; die anderen beiden haben es sich am Tisch bequem gemacht. Die Märchenszene ist eine von vielen, sorgfältig aus Sand gebauten am Hafen von Lappeenranta. Jedes Jahr entsteht hier nach einem jeweils neuen Motto ein kleiner Sandskulpturenpark. Der Sand wird von den Künstlern mit Holzleim vermischt, damit die Figuren auch leichte Regengüsse und Wind unbeschadet überstehen. Scheherazade und der Sultan aus „1001 Nacht“, Alice und der verrückte Hutmacher und auch Fuchur aus der „Unendlichen Geschichte“ sind hier in diesem Sommer versammelt.

 

Über dem Hafen von Lappeenranta erhebt sich die alte Festung Linnoitus mit ihren kleinen Läden, Museen und der ältesten orthodoxen Kirche Finnlands. Wir müssen nicht lange nach einem Mittagsbüffet suchen, im Gebäude einer alten Spinnerei serviert ein Restaurant neben einer großen Auswahl an Salaten auch ein hervorragendes Fischgericht. Durch das wuchtige Wyborg-Tor, dessen Mauern noch an die einst mächtige Festung erinnern, verlassen wir Lappeenranta – die Bären warten schon auf uns!