Vor ein paar Monaten, als wir durch die der finnischen Hauptstadt vorgelagerten Schären fuhren, lag auf den kleinen Inseln noch Schnee. Heute ist es an Deck der Finnlines-Fähre nahezu windstill. Als wir in Helsinki einlaufen, lassen die angenehmen Sonnenstrahlen vermuten, dass es ein warmer Sommertag werden wird.

Dom Helsinki

Unser Dachzelt schlagen wir auf dem etwas außerhalb gelegenen Campingplatz Rastila auf. Zum ersten Mal waren wir hier im Jahr 2015 und seither hat sich nicht viel verändert, außer dass er sehr viel voller ist als damals, als wir im Frühjahr hier waren. Eine Metrostation ist nur rund 200 Meter entfernt und so können wir bequem ins Zentrum von Helsinki fahren. Dort besuchen wir zunächst Oodi, die Bibliothek Helsinkis, die nicht nur mit ihren inneren Werten überzeugen kann, sondern auch von außen die Blicke auf sich zieht. Die Hauptfassade prägt ein ausladender Bogen aus Fichtenholzbrettern, dem eine aufwendige Stahlkonstruktion zugrunde liegt, die es ermöglichte, die weitläufige Eingangshalle säulenfrei zu gestalten.

Oodi

Oodi

Oodi

Die großen Panoramafenster wirken nach oben hin vereist und ermöglichen einen freien Blick auf das Parlament und den Bürgerplatz mit dem musiikkitalo, dem Konzerthaus der finnischen Hauptstadt.

Oodi

Oodi

Parlament

Nur wenige Gehminuten entfernt steht die Kapelle des Schweigens. Das Gebäude ist ähnlich wie Oodi mit Fichtenbrettern verkleidet, die mit einem besonderen Wachs behandelt wurden. Das Innere ist erfüllt von Ruhe, wie der Name schon vermuten lässt. Die besondere Akustik sorgt dafür, dass jedes noch so leise Geräusch unglaublich laut erscheint und irgendwie fehl am Platz wirkt. Die Kampin kappeli ist ein Ort, der in vielerlei Hinsicht typisch für Finnland ist, auf den ersten Blick schlicht und einfach wirkt und seine volle Wirkung erst beim näheren Betrachten entfaltet.

Schweigekapelle

Schweigekapelle

Schweigekapelle

Auch Finnland besticht durch viele Kleinigkeiten, die abseits der vordergründigen Schönheit zu finden sind. Den Finnen selbst wird gerne nachgesagt, dass sie schweigsam und verschlossen seien. Wie jedes Klischee stimmt es bei weitem nicht immer, hat aber doch in diesem Fall auch einen wahren Kern. In Finnland herrscht, anders als beispielsweise den USA, eine Schweigekultur. Belangloser Smalltalk wird als ebenso unhöflich angesehen, wie seinem Gegenüber ungefragt die Zeit mit uninteressanten Geschichten über sich selbst zu stehlen. Schweigen ist nicht peinlich, sondern ein Zeichen, die Anwesenheit des anderen zu akzeptieren. 

Schweigekapelle

Schweigekapelle

Als der Himmel sich über unseren Köpfen von seinem tiefen Blau verabschiedet und immer mehr Regenwolken ihn bevölkern, verlagern wir unsere Aktivitäten in die Museen der Stadt. Wenig überraschend sind wir nicht die Einzigen, die diese Idee hatten. Das Naturhistorische Museum wimmelt vor Kindern, die von einem ausgestopften Tier zum anderen rennen, ihre Nasen an den Scheiben der Vitrinen plattdrücken und sich ihre Hälse nach den hochaufragenden Saurierskeletten verrenken.

Naturhistorisches Museum

Naturhistorisches Museum

 Im ganz in der Nähe von Oodi gelegenen Kiasma-Museum gibt es eine Ausstellung der Werke von Tom of Finland und schon sehr viel weniger Besucher. Der 1920 im Südwesten Finnlands geborene Tuoko Laaksonen wollte mit seinen Bildern schwulen Männern aufzeigen, dass ihre Sexualität normal ist und nichts, wofür sie sich schämen müssen. Und das größtenteils zu einer Zeit, in der Homosexualität in Finnland noch unter Strafe stand. 

Tom of Finland

Sein Heimatland trägt der Künstler deshalb im Namen, weil er seine ersten Bilder über ein Bodybuilding-Magazin in den USA veröffentlichte und diese mit „Tom“ signierte. Der Besitzer des Magazins ergänzte einfach „of Finland“ und der Künstlername war geboren. Tom of Finland zählt zu den international anerkanntesten finnischen Künstlern und hat mit seinem Stil und seinen Bildern die Ästhetik eines Teils der homosexuellen Szene nachhaltig geprägt. Zu den vor Stolz strotzenden Charakteren in seinen Werken zählen vornehmlich muskulöse Bauern, Holzfäller, Soldaten, Motorradfahrer und Polizisten, und die Village People wären ohne ihn vermutlich nicht denkbar gewesen.

Noch leerer wird es schließlich bei den alten Meistern im Ateneum, direkt gegenüber der Statue von Aleksis Kivi am Bahnhofsplatz. Genau wie das Kiasma gehört auch das Ateneum zur Finnischen Nationalgalerie. Es ist das größte Kunstmuseum Finnlands und zeigt neben zahlreichen finnischen Künstlern auch Werke international bedeutender Meister wie van Gogh, Goya, Cézanne, Chagall und vielen mehr. Unter anderem entdecken wir hier auch ein Selbstporträt von Tove Jansson, der Schöpferin der in Finnland überaus beliebten und süßen Mumins.

Tove Jansson

In einem Raum hängt das berühmte Gemälde von Eero Järnefelt, das die Aussicht über die Koli-Berge auf den Pielinensee zeigt. Järnefelt reiste Ende des 19. Jahrhunderts häufig nach Karelien und besonders angetan war er von den Koli-Bergen, die sich unter anderem durch seine Bilder ins nationale Gedächtnis des Landes förmlich einbrannten und heute eine der bedeutenden Nationallandschaften Finnlands sind.

Koli Järnefelt

Als das Wetter in den folgenden Tagen aufklart, führt uns unser Weg zum Markt am Hafen von Helsinki, wo wir uns mit einer Portion knuspriger Muikkus stärken. Die Kleine Maräne ist ein Süßwasserfisch, der vollständig verzehrt werden kann und in Finnland äußerst beliebt ist und vielseitig in der Küche Verwendung findet.

Wir folgen der Esplanadi, einer beliebten Flaniermeile mit zahlreichen Geschäften, Cafés und einer Grünanlage und kommen in den Sternwarten-Park (Tähtitorninvuori). Am östlichen Ende des großen und teils steil ansteigenden Parkes steht die Skulptur „Die Schiffbrüchigen“ (Haaksirikkoiset) von Robert Stigell. Letztes Jahr hatten wir in der Nähe von Hämeenlinna die „Bärenfamilie“ von Stigell bewundert und wollten diesmal unbedingt sein Hauptwerk sehen.

Schiffbrüchige

Schiffbrüchige

Schiffbrüchige

An zahlreichen Gebäudefassaden Helsinkis finden sich noch viele weitere Statuen des Bildhauers. Zum Beispiel die von Väinämöinen, dem Held aus der finnischen Mythologie, mit der Kantele in den Händen, die er aus dem Kiefer eines Hechts baute.

Väinämöinen

Väinämöinen

Mitten im Park erklärt sich dann auch sein Name: Eine Sternwarte empfängt interessierte Besucher. Früher wurden hier durch schmale Lücken in der Dachkonstruktion und mithilfe dort immer noch aufgebauter Teleskope Fixsterne und Planeten auf ihrer Bahn über das Himmelszelt genau verfolgt und kartographiert. Wer schon immer wissen wollte, was das eigene Gewicht auf dem Jupiter oder Mond betragen würde oder sich über Sterne, die unsere Sonne wie einen winzigen Stecknadelkopf aussehen lassen, informieren wollte, ist hier genau richtig. Aktuell zeigt das kleine Museum auch eine Ausstellung über Nikolaus Kopernikus, den Vater des heliozentrischen Weltbildes.

Sternwarte

Sternwarte

Sternwarte

Sternwarte

Wir durchqueren den Park Richtung Süden und schauen schließlich von einer weiteren Grünanlage auf das Meer. Kleine Wellen glitzern auf der Wasseroberfläche und tragen Segelboote durch die Bucht, während sich am Horizont ferne Containerschiffe und Fähren wie Schemen abzeichnen. Wir sitzen eine Weile neben dem kleinen, leuchtend gelben Observatoriumsturm, der leider geschlossen hat, normalerweise aber etwa vier Menschen Platz hinter den Linsen des Teleskops bietet. Neben uns grasen Scharen von Weißwangengänsen, und der Trubel von Helsinki scheint für ein Weilchen in die Ferne zu rücken. Wir merken aber dennoch deutlich, dass es uns nach ein paar Tagen in der Hauptstadt wieder in die Einsamkeit Nordkareliens zieht.  

Observatorium

Observatorium