Vor sieben Jahren führte uns die Aussicht auf viele plüschige Bärchen in die östlichste Gemeinde Finnlands, nach Ilomantsi. Damals ahnten wir nicht, dass wir diesen kleinen Ort und seine Bewohner so in unsere Herzen schließen würden, und er eine unserer liebsten Anlaufstellen in Finnland werden würde.
Falls uns jemand nicht kennen sollte oder es noch nicht mitbekommen hat, Ruth und ich sind Bärennarren. Bären in jeglicher Form zaubern uns ein Lächeln ins Gesicht, heben unsere Stimmung und sorgen dafür, dass uns etwas oder jemand sympathisch ist. Am liebsten sind uns natürlich die echten, wilden Bären, die durch die Wälder streifen und ihrem natürlichen Lebenswandel nachgehen können. Aber auch ihre zahlreichen Abbilder – gehäkelt, gezeichnet, geschnitzt oder was auch immer – begeistern uns.
Als Ruth vor unserer ersten Reise nach Finnland vom Bären- und Puppenmuseum gelesen hatte, stand für uns fest, dass wir dort unbedingt vorbeischauen müssen. Und so kam es, dass wir 2015 in das knapp 5000 Einwohner zählende Städtchen fuhren. Sogleich fielen uns die zahlreichen Fahnen mit abstrahierten Bärenköpfen an den Laternenmasten auf, die vielen hölzernen Bärenskulpturen, die die Straßen und Plätze säumten, und wir ahnten, dass der Bär hier in Ilomantsi eine größere Rolle zu spielen schien.
Damals machten in dem besagten Museum gerade zwei junge Mädchen Dienst und besserten während der Schulferien ihr Konto auf. Als wir sie auf die vielen Holzskulpturen ansprachen, erzählten sie uns vom Karhufestivaali, das hier jedes Jahr im August stattfindet. Dann streift das kleine Städtchen für ein paar Tage seine sonst so geschätzte Ruhe ab und Holzschnitzer aus dem ganzen Land – und manchmal sogar von weit außerhalb – kommen zusammen und wetteifern um die schönste oder ausgefallenste Bärenskulptur.
Nach unserem ersten Kontakt mit dem Bärenschnitzfestival sollten weitere fünf Jahre vergehen, bis wir 2020 endlich selbst dabei sein und den Künstlern bei der Arbeit zuschauen konnten. Durch die Corona-Pandemie und die dadurch geschlossenen Grenzen waren wir nahezu die einzigen Besucher von außerhalb Finnlands und kamen sehr schnell in engen Kontakt mit zahlreichen Einheimischen und den Veranstaltern. Das führte dazu, dass wir letztendlich sehr viel mehr Zeit in Ilomantsi verbrachten, als wir ursprünglich eingeplant hatten.
Und als wir nun, weitere zwei Jahre später, erneut mit unserem schwarzen Defender den liebgewonnenen Ort anfahren, da erfüllt Ruth und mich eine unbeschreibliche Vorfreude, die sich mit jedem Kilometer, den wir näher an Ilomantsi heranrücken, noch steigert. Wir passieren all die Orte, die wir mit schönen Erinnerungen verbinden, sehen im Supermarkt dieselben Gesichter die Regale einräumen und an der Kasse sitzen, treffen die gleichen Menschen an den Marktständen und schließlich viele bekannte Holzschnitzer, die erneut die laut kreischenden Motorsägen schwingen und ihrer Kreativität an den rund zwei Meter hohen Holzstücken freien Lauf lassen. Und das Erstaunliche und für uns Rührende ist, dass nicht nur wir all die Menschen wieder erkennen, sondern auch sie sich an uns sogar mit Namen erinnern und uns erneut herzlich in diesem besonderen Ort willkommen heißen. Menschen winken uns beim Vorüberfahren zu, wir erhalten Nachrichten von Leuten, die unser Auto, das scheinbar auffällt wie ein bunter Hund, selbst in Nachbarorten gesehen haben.
Aber genug von uns und unserem vierrädrigen bunten Hund und zurück zu den Bären. Dieses Jahr findet das Karhufestivaali bereits zum neunten Mal statt und das Thema, mit dem sich die Holzschnitzer auseinandersetzen müssen, lautet „Bärenstuhl“ – wobei das nur eine grobe Übersetzung ist, es soll eine Sitzgelegenheit in Kombination mit einem Bären angefertigt werden. Und bereits am ersten Tag, wenn es zunächst darum geht, die grobe Form festzulegen, können wir schon in die ersten süßen Bärengesichter schauen. Die Künstler arbeiten ganz unterschiedlich, manche sind extrem schnell und beschäftigen sich bereits recht früh mit Details, andere geben noch nicht allzu viel von ihrer Idee preis. Dieses Jahr ist auch eine Frau unter den Teilnehmern, Marjukka Nio. Die 74-Jährige zählt zu den Anfängerinnen, hat erst vor Kurzem an einen Workshop bei Juha Käkelä teilgenommen. Juha hatte vor zwei Jahren eine jener Skulpturen geschnitzt, die uns nachhaltig in Erinnerung geblieben ist. Sie bezog sich auf die Geschichte „Die sieben Brüder“ des finnischen Schriftstellers Alexis Kivi. Dieses Jahr gehört Juha zur Jury, die im Anschluss die Werke prämieren wird. Seine Schülerin Marjukka hat sichtlich Spaß an der Sache. Das ist es auch, was hier im Vordergrund steht, und den Holzschnitzern ist die Freude anzusehen, die sie bei der Arbeit haben. Überall fliegen die Späne, wird mit den unterschiedlichsten Werkzeugen leidenschaftlich gearbeitet und gefeilt, und am Ende wird so manche Skulptur noch mit Feuer oder Farbe veredelt.
Am dritten Tag des Festivals gibt es noch einen Schnellschnitz-Wettbewerb. Die Teilnehmer haben nun 90 Minuten Zeit für eine weitere Bärenskulptur und wir sind fasziniert, wie detailliert und ausgearbeitet die Ergebnisse selbst nach so kurzer Zeit sind. Oft gelingt es den Künstlern, den Tieren mit wenigen gekonnten Handgriffen Charakter und Ausdruck zu verleihen.
Wer am Ende die vorderen Plätze belegt, interessiert uns eigentlich nicht so sehr. Das ganze Drumherum, die Begeisterung der Teilnehmer und Besucher, das ist eigentlich das Schöne am Karhufestivaali. Und wir haben sowieso unsere eigenen Favoriten unter den fertigen Skulpturen. Dazu zählt beispielsweise „Die Geburt des Bären“ von Aimo Laitinen, der ein Motiv aus der finnischen Mythologie aufgreift, oder auch eine zum Verweilen einladende Bärenbank von Jari Kuokkanen, oder die außergewöhnliche Figur des Gewinners des Bärenschnitzfestivals 2020, Timo Teittinen.
In einem der kommenden Tage statten wir natürlich auch dem Ort einen Besuch ab, der uns ursprünglich nach Ilomantsi gebracht hat – dem Bären- und Puppenmuseum. Und dieses Mal haben wir das große Glück, die Besitzerin der Sammlung kennenzulernen. Seit über 40 Jahren sammelt Ritva Korhonen Bären und Puppen, und auf einem Foto, das uns die mittlerweile über 70-Jährige zeigt, ist sie mit ihren ersten zwei Puppen zu sehen. Eine davon ist aus Deutschland und steht in einer der zahlreichen Vitrinen, die voll sind mit den unterschiedlichsten Exponaten aus aller Herren Länder. Insgesamt sind über 3000 Exemplare ausgestellt, die eine bunte Mischung und einen schönen Querschnitt durch die verschiedenen Epochen bilden, sodass jedes Kinderherz höherschlägt, aber auch Erwachsene eine Menge zu entdecken haben.
Manchmal haben wir Angst, wenn wir einen Ort, mit dem wir besondere und schöne Erinnerungen verbinden, erneut besuchen, dass sich etwas verändert hat, was diese positive Erfahrung vielleicht relativieren könnte. Aber Ilomantsi enttäuscht nicht – im Gegenteil, es bestätigt erneut seinen besonderen Platz in unseren Herzen, und wir sind froh, dass uns einst die Bären zu so liebenswerten Menschen geführt haben.