Unser Kanadier schrappt über die großen Steine dicht unter der Wasseroberfläche und sein Bug drückt sich leicht in die Uferböschung. Vor uns liegt ein steiler, mit Kiefern bewachsener Hang, an dessen oberem Ende sich kahle Felsen auftürmen, und hinter uns glitzert das schwarzblaue Wasser des Kolovesi. Nur ein kurzer Fußmarsch, und wir stehen unter einer beeindruckenden, leicht überhängenden Felswand, in deren oberem Bereich sich eine natürliche Höhle findet. Holzstiegen führen zu dieser Stelle in etwa zehn Metern über dem Wasser. Hier muss vor Tausenden von Jahren der Künstler gestanden und eine menschliche Figur mit rotem Ocker, vermischt mit Blut oder Fett, auf den Stein gemalt haben. Einen Schamanen vielleicht, in die Anrufung seiner Götter oder Geister vertieft? Ein Selbstporträt? Heute, etwa 5000 Jahre später, kann das niemand mehr sagen.Die Felszeichnung von Ukonvuori ist nur mit dem Boot zu erreichen, am besten aus eigener Kraft, da Motorboote hier, im Kolovesi-Nationalpark, im Frühjahr gar nicht und auch sonst nur eingeschränkt fahren dürfen. Der seit 1990 existierende Park umfasst den See mit seiner gesamten Uferregion und die ausgedehnten Inseln darin, insgesamt etwa 23 Quadratkilometer. Die Inseln dürfen im ersten Quartal des Jahres nicht betreten werden, und ein Teil des Eilands Mäntysalo ist strenges Schutzgebiet, von dem Menschen sich ganzjährig fernhalten müssen.

Ein paar wenige Wanderrouten finden sich im Nationalpark, so zum Beispiel ein etwas über drei Kilometer langer Naturpfad, im Südosten gelegen. In gemütlichem Auf und Ab geht es durch naturbelassene Mischwälder, deren Boden dicht bedeckt ist von Beerensträuchern, Farn und Schachtelhalm. Hie und da schrecken wir kleine Vögel auf. Auf einmal ein Kratzen und Trommeln direkt über uns, begleitet von quietschenden Lauten. Ein Eichhörnchen macht sich lautstark bemerkbar, vielleicht um von seinem Nachwuchs in der Nähe abzulenken. Es beobachtet uns aufmerksam, aber irgendwann scheint es uns als Bedrohung abgeschrieben zu haben und hängt nur noch entspannt auf einem Ast herum - natürlich nicht ohne uns aus den Augen zu lassen. So schön das Wandern hier auch ist, die wahre Pracht des Kolovesi erschließt sich aber erst vom Wasser aus.

Und so schaukeln wir auf den Wellen des großen Sees und geniessen die Ruhe, denn uns begegnen kaum andere Boote. Streckenweise zwingen uns Gegenwind und schaumbekrönte Wellen dazu, ordentlich mit unseren Paddeln auszuholen, aber vor allem in den Abend- und Morgenstunden scheint unser Bug eine glatte Spiegelfläche zu durchschneiden, einzig begleitet vom leisen Gurgeln des Wassers und vereinzelten Vogelrufen. Schroffe, von leuchtend grüner Landkartenflechte bedeckte Felsen, die steil neben uns aus dem See ragen, wechseln sich ab mit flachen Buchten, die dazu einladen, sich zwischen Kiefern und Beerenbüschen ein wenig die Beine zu vertreten und das Mittagessen auf einem moosbewachsenen Stein im Schatten des Waldes zu verzehren. Es kann leicht passieren, dass wir in eine falsche Bucht abbiegen und uns in einer schönen Sackgasse wiederfinden, da die großen Inseln sehr zergliedert und wir manchmal vor lauter Staunen über die Besonderheiten dieser abgelegenen Landschaft etwas unaufmerksam sind.

 

Auch hier im Kolovesi lebt die berühmte Saimaa-Robbe, die aber aufgrund der sehr kleinen Population von etwa 10 Tieren (Stand 2018) nur mit sehr viel Glück und eher im späten Frühling gesichtet werden kann. Ende Mai wechseln die Tiere ihr Fell und liegen in dieser Phase sehr gerne träge auf den warmen Felsbrocken in Ufernähe. Der Kolovesi gehört zwar zum gewaltigen Seengeflecht des Saimaa, ist aber dennoch eine recht isolierte Region, so dass die wenigen hier lebenden Robben sich sogar genetisch vom Rest der Saimaa-Population unterscheiden. Robben unternehmen zwar manchmal kilometerlange Wanderungen, bleiben aber in der Regel ihr Leben lang am gleichen Standort. Dies führt dazu, dass der Bestand der isolierten Kolovesi-Robbe ohne Zuwanderung neuer Individuen immer mehr abnimmt.Abends steuern wir einen der Rastplätze an, unser Zelteingang schaut auf die ruhigen Wasser des Kolovesi. Unweit von uns vertreiben zwei Finnen die Stechmücken mit duftendem Pfeifenrauch, und eine Familie vertreibt sich die Zeit mit Holzhacken und Abendessen zubereiten. Die wenigen Besucher des Nationalparks treffen um diese Zeit an den Rastplätzen aufeinander. Wir sitzen am knisternden Feuer, warten auf das Kochen unseres Teewassers und schauen zu, wie die Birkenscheite unter den Flammen dahinschrumpfen.

Vielleicht saß der steinzeitliche Künstler von Ukonvuori einst auch abends an seinem Feuer und starrte nach getaner Arbeit in die tanzenden Flammen. Er muss mit dem Boot gekommen sein, oder im Winter auf dem Eis. Damals, bevor sich die Landmassen des Saimaa-Gebiets nach der letzten Eiszeit um etwa zehn Meter anhoben, lag die kleine Höhle noch knapp über dem Wasserspiegel.